Inkontinenz im Alter

Die Inkontinenz, also der unwillkürliche Abgang von Stuhl oder Urin ist immer noch ein Tabuthema. Viele Inkontinenz Patienten gehen aus Scham gar nicht oder sehr spät zum Arzt. Oft führt dies zu einer zunehmenden Isolation der Patienten.

Sie gehen aus Angst, jemand könnte ihre Inkontinenz bemerken, nicht mehr aus dem Haus, weder zu kulturellen Veranstaltungen, noch zu Einkaufsbummeln oder längeren Spaziergängen. Dies ist umso tragischer, wenn man bedenkt, dass durch die moderne Medizin die Inkontinenz in den meisten Fällen behandelbar ist oder zumindest deutlich gebessert werden kann.

Harninkontinenz

An einer Harninkontinenz leiden alleine in Deutschland mehrere Millionen Menschen. Überwiegend sind Frauen und alte Menschen betroffen, Harninkontinenzen werden aber auch bei Kindern und Männern beobachtet.

Frauen sind gleich in mehrerer Hinsicht zur Entwicklung einer Blasenschwäche prädestiniert. Einerseits kann es vor allem im Rahmen schwerer Geburten, aber auch durch eine generelle Bindegewebsschwäche zu einer Schwächung des Beckenbodens mit nachfolgendem Absinken der Gebärmutter kommen. Dadurch kann die Blasenfunktion erheblich beeinträchtigt sein. Zudem führt der Östrogenabfall nach den Wechseljahren zu einer Erschlaffung des Verschlussmuskels.

Man unterscheidet prinzipiell fünf verschiedene Arten der Harninkontinenz. Die bei Frauen sehr häufige Stress-Inkontinenz bezeichnet den unwillkürlichen Abgang von Harn bei Steigerung des Drucks im Bauch, wie er bei Husten und Niesen auftritt. Ursache ist bei Frauen in der Regel eine Erschlaffung des Schließmuskels oder eine Beckenbodenschwäche.
Bei Männern findet man diese Inkontinenzform meist erst nach operativer Entfernung der Vorsteherdrüse (Prostata), die gelegentlich bei Prostatakrebs oder gutartiger Prostatavergrößerung notwendig wird.
Die Urge-Inkontinenz (engl.: urge = Drang) zeichnet sich durch einen ungewöhnlich hohen Harndrang aus. Die Betroffenen müssen nahezu sofort nach Empfinden des Harndrangs Urin ablassen.
Man unterscheidet nach Aktivität des Blasenentleerungsmuskels (Detrusor) zwischen motorischem und sensorischem Urge. Bei ersterem kommt es trotz intakter Funktion des Schließmuskels zu einer verstärkten Aktivität des Entleerungsmuskels, in deren Folge der Schließmuskel (Sphinkter) relativ zu schwach ist (relative Sphinkterinsuffizienz).
Beim sensorischen Urge ist die Detrusoraktivität nicht gesteigert, es kommt jedoch zu einem außerordentlich starken Empfinden des Harndrangs.
Die Urge-Inkontinenz entwickelt sich meist als Folge chronischer Umbauprozesse im Bereich der Blase. Diese Umbauprozesse können entzündlicher Natur sein (Blasenentzündung, Blasenstein), aber auch bösartige Neubildungen (Blasenkrebs) können dem Urge zugrunde liegen. Vor allem beim sensorischen Urge können auch Nervenschädigungen ursächlich verantwortlich sein.
Bei der Überlaufblase entwickelt sich eine Inkontinenz aus einer starken Füllung der Blase, ohne dass ein gezieltes Wasserlassen erfolgt. Der äußerst schmerzhafte Druck in der gefüllten Blase übersteigt dann den Schließmuskeldruck und es kommt zum Verlust kleiner Urinmengen. Ursache ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ein Passagehindernis im Bereich der Harnröhre. Dabei spielt die gutartige Vergrößerung der Prostata die größte Rolle, die bei Männern mit zunehmendem Alter sehr häufig beobachtet wird. Seltener sind Schädigungen im Bereich der Detrusor-versorgenden Nerven als Ursache möglich.
Die autonome oder „Reflexblase“ ist die typische Folge einer Schädigung des Rückenmarks (Querschnittslähmung, Tumor). Die Blasensteuerung wird in diesen Fällen von untergeordneten Reflexzentren übernommen. Zudem liegt bei den Patienten in der Regel auch eine Gefühlsstörung vor. Sie spüren nicht mehr, wenn die Blase voll ist.
Eine Entleerung erfolgt dann meist bei Reizung der Blasenwand, beispielsweise durch Druck auf den Bauch oder Lageveränderungen. Eine Reflexblase entwickelt sich auch im Rahmen von Demenzerkrankungen (z. B. Alzheimer).

Bei der „extraurethralen“ Inkontinenz geht der Harn nicht durch die Harnröhre ab, sondern etwa durch die Scheide. Ursache sind meist entzündlich oder nach Verletzungen entstandene Fisteln. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Blasen-Scheiden-Fistel, bei der eine krankhafte Verbindung zwischen Blase und Scheide vorliegt. Es kommt dann zu einem kontinuierlichen Harnträufeln, das je nach Größe der Fistel unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann.

Wie wird eine Inkontinenz therapiert?

Vor jeglicher Therapie muss die Art der Inkontinenz festgelegt werden. Meist gibt bereits die gezielte Befragung des Patienten entscheidende Hinweise. Abgeklärt werden müssen Art und Ausmaß des Harnabgangs, Rückenmarksverletzungen in der Krankengeschichte, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes (Nervenstörung!), Anzahl der Kinder und Besonderheiten bei Schwangerschaften, Voroperationen und vieles mehr.

Anschließend werden je nach Verdacht einige Untersuchungen notwendig. Dazu gehören Protokolle über Menge und Häufigkeit, Urin- und Blutuntersuchungen, rektale Untersuchung, Provokationstest (Hustentest), Ultraschalluntersuchung der Blase.

Bei Unklarheit oder speziellem Verdacht können zudem Blasenspiegelungen, Druckmessungen in verschiedenen Bereichen der ableitenden Harnwege und Röntgenuntersuchungen des Harntraktes notwendig werden.

Die Therapie richtet sich dann nach Art und Ausmaß der Inkontinenz. Bei Stressinkontinenz hat sich zunächst ein Beckenbodentrainig bewährt. Dabei wird der Beckenboden durch gezielte Gymnastik gestärkt. Unterstützend kann auf Methoden des Biofeedback zurückgegriffen werden. Beim Biofeedback wird der Kontraktionszustand des Beckenbodens auf einem Monitor beispielsweise in Form eines Balkens sichtbar gemacht. Der Patient kann dann durch Kontraktion der Muskulatur den Balken vergrößern. Dadurch erhält er gewissermaßen eine Rückmeldung, dass die Übung korrekt durchgeführt wird. Sind bei der Stressinkontinenz Nervenschädigungen beteiligt kann der Schließmuskel auch von außen durch Elektroden stimuliert und so passiv trainiert werden (Elektrostimulation).
Zur Überbrückung der Zeit bis zum Therapieerfolg werden so genannte Harnröhren-Plugs eingesetzt. Diese werden selbständig in die Harnröhre eingeführt und verschließen diese bis zum nächsten Wasserlassen. Einen ähnlichen Effekt haben spezielle Pessare, sie werden jedoch in die Scheide eingelegt und spreizen die Scheidenmuskulatur. Dadurch werden der Harnleiter und die Blase angehoben. Bei Versagen der genannten Methoden oder aber bei schwerer Stressinkontinenz stehen operative Maßnahmen zur Verfügung. Es existieren mehr als hundert verschiedene Methoden, was immer ein Zeichen dafür ist, dass keine der Methoden über entscheidende Vorteile verfügt. Welche Methode zur Anwendung kommt, ist meist von den speziellen Erfahrungen und Kenntnissen des Operateurs abhängig.
Bei der Urge-Inkontinenz bilden zunächst medikamentöse Verfahren die Therapie der Wahl. Zum Einsatz kommen Medikamente, die die Aktivität der Blasenmuskulatur positiv beeinflussen. Einen gewissen Erfolg scheinen durch ähnliche Wirkung auch Östrogenpräparate (meist als Scheidenzäpfchen) zu haben. Die Anwendung von Antidepressiva bleibt aufgrund der Nebenwirkungen verzweifelten Fällen vorbehalten.
Bei der Überlaufblase kommt der Verkleinerung der Prostata entscheidende Bedeutung zu. Hierzu können sowohl medikamentöse als auch operative Verfahren angewendet werden. In vielen Fällen führt die über die Harnröhre durchgeführte Teilentfernung von Prostataanteilen schnell zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik.

Die extraurethrale Inkontinenz ist eine Domäne der operativen Therapie. Meist muss die Fistel ausgeschnitten und anschließend verschlossen werden. Ein Wiederauftreten von Fisteln ist vor allem bei Nichtbeseitigung eines eventuell vorliegenden Entzündungsherdes nicht ungewöhnlich.

Die Therapie der Reflexblase ist komplex und nicht selten sind die Ergebnisse unbefriedigend. Das therapeutische Vorgehen zielt darauf ab, den Restharn möglichst unter Erhalt der Kontinenz gering zu halten. Es kann gelingen, durch Beklopfen der Bauchdecke unmittelbar oberhalb des Schambeinknochens eine gezielte Blasenentleerung herauszufordern. Gelingt dies nicht, besteht die Möglichkeit der Blasenentleerung durch Legen eines Katheters. Die Anlage eines Dauerkatheters ist möglichst zu vermeiden, da die Infektionsgefahr nicht unerheblich ist. Die Blasenentleerung kann dabei medikamentös unterstützt werden.
Bei Versagen der konservativen Maßnahmen kommen operative Verfahren zum Einsatz. Viel versprechend ist in diesen Fällen die Implantation eines Blasenstimulators, der durch einen elektrischen Impuls die Blasenentleerung einleitet. In verzweifelten Fällen muss die Harnableitung unter Opferung der Kontinenz nach außen über die Bauchdecke erfolgen.
Vor allem bei durch Demenz bedingter Inkontinenz hat sich ein Toilettentrainig bewährt. Dabei wird dem Betroffen anhand eines speziell erstellten Schemas ein bestimmter zeitlicher Ablauf von Trinken und Wasserlassen antrainiert. Generell gilt, dass bei Versagen der Therapieoptionen oder bei Operationsunmöglichkeit letztlich auch auf Einlagen, Windeln und wasserdichte Bettunterlagen zurückgegriffen werden kann.

Stuhlinkontinenz

Die Stuhlinkontinenz ist weitaus seltener als die Harninkontinenz und beide Geschlechter sind nahezu gleich häufig betroffen. Definiert wird die Stuhlinkontinenz als unwillkürlichen Abgang von Darmgasen, dauerhaftes Schmieren oder Abgang fester Stuhlbestandteile.

Die Ursachen der Stuhlinkontinenz überlappen sich teilweise mit denen der Harninkontinenz. So sind auch hierbei Schwächen des Beckenbodens, Demenzerkrankungen oder Querschnittsverletzungen gelegentlich für die Inkontinenz verantwortlich. Aber auch Voroperationen im Bereich des Enddarms (z. B. Hämorrhoiden) oder Entzündungen können eine Stuhlinkontinenz begünstigen. Ein im Rahmen einer schweren Geburt entstandener Dammriss kann eine Stuhlinkontinenz zurücklassen. Selbst eine chronische Verstopfung kann zu einer Inkontinenz prädestinieren, da die Schleimhaut durch den festen Stuhl unempfindlicher gegen Dehnung wird und sich bei starkem Pressen ausdehnt. Im Extremfall führt dies zu einer sackförmigen Ausweitung (Rektocele) oder einem Enddarmvorfall (Rektumprolaps).
Die Diagnostik der Stuhlinkontinenz beginnt mit einer gezielten Befragung des Patienten. Anschließend wird eine rektale Untersuchung durchgeführt. Dabei kann vom erfahrenen Untersucher bereits eine eventuelle Druckminderung des Schließmuskels erkannt werden. Unbedingt erforderlich ist aber auch eine Enddarmspiegelung (Proktoskopie), die meist mit einer speziellen Ultraschalluntersuchung kombiniert ist. Dadurch werden der Schließmuskel sowie das umgebende Bindegewebe beurteilbar. In unklaren Fällen können eine Druckmessung des Enddarms (Rektummanometrie) und eine Röntgenuntersuchung des Ausscheidungsvorgangs (Defäkografie) notwendig werden.

Die Therapie der Stuhlinkontinenz ist zunächst konservativ. Eine wichtige Säule ist dabei die diätetische Festigung des Stuhls. Erreicht wird dies durch eine ballaststoffreiche Ernährung. Erfahrungsgemäß sind dabei Leinsamen recht hilfreich. Die Ernährungsumstellung sollte optimalerweise unter Anleitung einer Diätassistentin erfolgen.
Zusätzlich sollte eine Beckenboden- und Sphinktergymnastik erfolgen. Auch hier hat sich der Einsatz von Biofeedback bewährt. Führen diese Maßnahmen nicht zum gewünschten Erfolg, so sollten operative Maßnahmen in Erwägung gezogen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Rahmen der Diagnostik ein großer Schließmuskeldefekt, eine Rektocele oder ein Rektumprolaps gefunden wurden, oder aber wenn ein starkes Absinken des Beckenbodens stattgefunden hat.

Eine eventuell vorliegende Rektocele oder ein Rektumprolaps werden operativ entfernt und der Defekt verschlossen. In der Regel wird das Rektum auch am Kreuzbein befestigt (Rektopexie).
Auch Schäden am Schließmuskel oder Beckenboden können in vielen Fällen operativ behandelt werden.
Früher, als die genannten Operationsmethoden noch nicht ausgereift waren, wurde oft die Ableitung über einen künstlichen Darmausgang nötig. Diese Maßnahme ist heute hingegen nur noch selten notwendig. Es muss allerdings gesagt werden, dass ein relativ leicht zu pflegender künstlicher Darmausgang mitunter zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität führt, da dann auf Windeln oder ähnliche Einlagen verzichtet werden kann.


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