Leukämie

Unter dem Begriff Leukämie, im Volksmund unklar als „Blutkrebs“ bezeichnet, werden eine Reihe bösartiger Erkrankungen zusammengefasst, die primär das Blutzellen bildende Knochenmark betreffen.
Zum besseren Verständnis der Krankheit ist das Wissen um die Entwicklung und Aufgaben verschiedener Zellarten wichtig, deshalb sei hier kurz auf Einzelheiten eingegangen – auch wenn das Fachchinesisch vielleicht den Lesefluss etwas hemmen könnte…

Im Knochenmark werden ausgehend von Stammzellen in verschiedenen Reifungsschritten rote Blutkörperchen für den Sauerstofftransport sowie weiße Blutkörperchen für das Immunsystem gebildet. Man spricht dementsprechend von roter und weißer Zelllinie.
Die weiße Zelllinie teilt sich dabei in einen lymphatischen und einen myeloischen Ast. Aus dem lymphatischen Ast gehen die B- und T-Lymphozyten, aus dem myeloischen die Granulozyten, Monozyten und Makrophagen hervor. Vom myeloischen Ast zweigt eine weitere Linie ab, die der Bildung der Megakaryozyten dient, aus denen die für die Blutgerinnung wichtigen Blutplättchen hervorgehen.
Bei Gesunden ist die Bildung der genannten Blutzellen einem sehr feinen Regelkreis unterworfen, der den Körper in die Lage versetzt, alte Zellen zu ersetzen und auch auf eventuelle Schädigungen (z. B. Blutarmut nach einer Blutung) mit vermehrter Neubildung zu reagieren. Andererseits wird durch die Regulationsmechanismen eine überschießende Bildung einer Zellart verhindert. Dies führt dazu, dass die Anzahl der Zellen des Blutes bei Gesunden innerhalb einer gewissen Bandbreite konstant gehalten wird. Bei Leukämien ist dieser Regelkreislauf gestört.
Eine Leukämie geht immer von einer Zelle aus, bei der es durch Veränderungen in der Erbsubstanz zu einer ungehemmten Teilung und Vermehrung kommt. Die Zelle reagiert nicht mehr auf die hemmenden Einflüsse des Regelkreislaufes. Die neu gebildeten Zellen haben dabei genau die gleichen genetischen Eigenschaften der Ausgangszelle, weshalb man auch von einer „klonalen“ Neubildung spricht.
Der entartete Zellklon ist dabei funktionslos, d. h. die leukämischen Zellen nehmen nicht an der Infektabwehr teil. Darüber hinaus ist die Zellvermehrung des Klons so stark, dass die Zellen der regulären Blutbildung verdrängt werden. Dies führt dazu, dass die Zahl der roten Blutkörperchen und Blutplättchen im Blut abnimmt. Es resultiert eine Blutarmut (Anämie) sowie eine Gerinnungsstörung. Aufgrund der Verdrängung der Zellen der gesunden weißen Zelllinie sind die Patienten zudem stark infektgefährdet.
Die Leukämien werden grundsätzlich nach zwei Kriterien eingeteilt. Zunächst unterscheidet man nach dem betroffenen Ast lymphatische von myeloischen Leukämien. Entsprechend des Krankheitsverlaufs erfolgt zudem eine Einteilung in akute und chronische Leukämien, so dass grundsätzlich vier Leukämieformen unterschieden werden.
Chronisch verlaufende Leukämien führen zu einer massiven Ausschwemmung von weißen Blutkörperchen in das Blut. Gewinnt man von den Patienten eine Blutprobe und lässt das Gefäß eine Zeit lang stehen, so bildet sich ein auf dem Rest des Blutes schwimmender weißer Saum. Diese Tatsache hat zu der Bezeichnung des Krankheitsbildes als Leukämie („weißes Blut“) geführt.
Akute Leukämien können jedoch auch mit einer erniedrigten oder unveränderten Anzahl von weißen Blutkörperchen im Blut einhergehen. Aufgrund der grundlegenden Ähnlichkeiten zu den chronischen Leukämien hat sich jedoch auch hier der Begriff Leukämie durchgesetzt.
Die chronisch lymphatische Leukämie wird heutzutage den Lymphomen (primär die Lymphknoten betreffende bösartige Erkrankungen) zugerechnet.

Wie entsteht eine Leukämie?

Die genetischen Veränderungen in leukämischen Zellklonen sind Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen und sehr viele dieser Veränderungen sind bereits bekannt.
Was diese Schäden jedoch auslöst, bleibt im Einzelfall meist unklar. Es ist jedoch bekannt, dass radioaktive Strahlung (natürliche Strahlung, Röntgenuntersuchungen, Atomwaffenversuche, etc.) sowie einige Chemikalien (z. B. Benzol, Stickstoff-Lost) und Medikamente (viele Chemotherapeutika) Schäden des Erbgutes hervorrufen, die zur Auslösung einer Leukämie führen. Eine seltene Ursache für eine Leukämie ist eine Infektion mit dem vor allem im asiatischen Raum verbreiteten Virus HTLV (Humanes T-Zell Leukämie-Virus).

Welche Symptome werden durch eine Leukämie verursacht?

Akute Leukämien verlaufen rasch fortschreitend und führen unbehandelt binnen weniger Wochen bis Monate zum Tod. Chronische Leukämien zeigen dagegen einen schleichenden Verlauf und können manchmal jahrelang symptomfrei bestehen.
Die Symptome resultieren zunächst aus der Verdrängung der regulären blutbildenden Systeme durch den Zellklon. Eine Anämie macht sich durch Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Blässe bemerkbar, später kommt Luftnot bei Belastung hinzu.
Die Gerinnungsstörung führt zu kleinen punktförmigen Einblutung (Petechien) an Haut und Schleimhäuten sowie einer Neigung zu Blutergüssen. Einblutungen in ein Gelenk werden selten beobachtet.
Die Patienten leiden zudem als Zeichen einer zunehmend gestörten Infektabwehr an häufig wiederkehrenden Infekten. Sie sind dabei in zunehmendem Maße auch durch Keime gefährdet, die für gesunde Menschen harmlos sind. So findet sich häufig eine Pilzbesiedelung der Mundhöhle (Soor). Fieber, Gewichtsverlust und vermehrtes nächtliches Schwitzen werden gelegentlich von den Patienten berichtet und zusammenfassend als B-Symptomatik bezeichnet.
Vor allem bei chronischen Leukämien kann die starke Zunahme der weißen Zellzahl Probleme bereiten, da es durch Veränderung der Fließeigenschaften des Blutes zu Verschlüssen von Gefäßen kommen kann.
Der entartete Zellklon kann zudem, vor allem bei chronisch lymphatischen Leukämien, Antikörper bilden, die sich an gesunde rote Blutkörperchen anlagern und deren „Entsorgung“ in der Milz begünstigen. Dies führt zu einer Milzvergrößerung, außerdem wird eine Anämie weiter verstärkt. Man spricht, da der Auflösung der roten Blutkörperchen ein Angriff des körpereigenen Immunsystems zugrunde liegt auch von einer „autoimmunen hämolytischen Anämie“.

Wie wird eine Leukämie diagnostiziert?

Eine Leukämie wird meist in einer routinemäßigen oder zur Abklärung oben genannter Symptome durchgeführten Blutuntersuchung auffällig.
Eine speziellen Beurteilung des weißen Blutbildes (Differenzialblutbild) und eine anschließende mikroskopischen Untersuchung des Blutausstrichs können bereits erste Hinweise auf die Art der Leukämie geben. Bei jedem Verdacht muss eine Knochenmarksbiopsie erfolgen. Dazu wird unter örtlicher Betäubung aus dem Beckenkamm oder (seltener) aus dem Brustbein Knochenmark gewonnen.
Bestätigt sich der Verdacht, so erfolgen weitere Untersuchungen zur Klassifizierung der jeweiligen Leukämie-Unterformen. Dazu werden genetische und so genannte „durchflusszytometrische Tests“ herangezogen, die Aussagen über Veränderungen in Erbsubstanz und über Oberflächenmerkmale der Zellen geben.
Nach Klassifizierung der Leukämie erfolgt die Stadieneinteilung, die sich je nach Leukämietyp an unterschiedlichen Kriterien sowie Befall anderer Organe ausrichtet.

Wie wird eine Leukämie therapiert?

In kaum einem Feld werden Therapieempfehlungen derart häufig zurückgenommen und angepasst wie bei den Leukämien, was auf einer großen Anzahl von immer neuen Studien und Erfolgen der Grundlagenforschung beruht. Daher kann hier seriöserweise auch nur eine Orientierung über die grundsätzlichen Therapieoptionen gegeben werden.
Grundsätzlich sollten Leukämiepatienten nur an spezialisierten Zentren, nach Möglichkeit in klinische Studien integriert, behandelt werden, um die Therapie immer weiter verbessern zu können. Bei akuten Leukämien wird zunächst in der Regel mit einer Kombination aus verschiedenen Chemotherapeutika behandelt.
Bei sehr weit fortgeschrittener Erkrankung, ungünstigen genetischen Konstellationen, Therapieversagern oder bei Leukämierückfällen nach erfolgter Chemotherapie wird eine Stammzelltransplantation nötig. Dazu wird zunächst das erkrankte Knochenmark durch eine Ganzkörperbestrahlung vernichtet, um anschließend blutbildende Stammzellen eines genetisch möglichst ähnlichen Spenders (geeignet sind oftmals Familienangehörige, optimal eineiige Zwillingsgeschwister) zu verabreichen.
Bei Stammzelltransplantationen besteht wie bei allen Organtransplantationen die Gefahr der Abstoßung, wobei hier als Besonderheit das Spenderorgan den Empfängerorganismus angreift. Man bezeichnet diese Reaktion als „graft versus Host Disease“ (GvHD). Die GvHD ist in gewissem Rahmen sogar erwünscht, da man annimmt, dass dadurch im Körper verbliebene einzelne Leukämiezellen vernichtet werden.

Ein Sonderfall ist die so genannte Promyelozyten-Leukämie, eine Unterform der akuten myeloischen Leukämie (AML), die auch als M3 bezeichnet wird. Hier kann durch Anwendung von Vitamin-A-Vorstufen (Retinsäure-Abkömmlinge) eine Ausreifung des Leukämieklons erzielt werden.
Die chronischen Leukämien werden aufgrund ihres oft jahrelangen symptomarmen Verlaufs zunächst sehr zurückhaltend behandelt. Eine Heilung der chronischen Leukämien ist nur bei der chronisch myeloischen Leukämie (CML) möglich.
Die CML verläuft in zwei Phasen, wobei eine zunächst chronisch stabile Phase nach unterschiedlich langem Zeitraum in eine so genannte Blastenkrise übergeht. Dabei werden massiv weiße Vorläuferzellen ins Blut ausgeschüttet, wobei die Patienten innerhalb kurzer Zeit trotz Therapie versterben.
Der vorgezeichnete tragische Verlauf der Erkrankung kann nur bei vollständiger Elimination des leukämischen Zellklons erreicht werden. Dies wird durch die gängigen Chemotherapeutika jedoch nicht erreicht. Lediglich eine Stammzelltransplantation kann einen auf Heilung ausgerichteten Ansatz darstellen. Diese ist aufgrund der schweren Komplikationen jedoch nur bei Patienten unter 60 Jahren anwendbar. Da die CML in der Regel eine Erkrankung des späten Erwachsenenalters ist, kommen dafür nur sehr wenige Patienten in Betracht.
In der stabilen Phase wird eine medikamentöse Therapie nur bei sehr hoher Anzahl weißer Blutkörperchen (über 50.000/µl Blut, normal sind 4000 bis 10.000), schwerem allgemeinen Krankheitsgefühl oder Beschwerden aufgrund einer starken Milzvergrößerung eingesetzt.
Ein neuer, möglicherweise viel versprechender Therapieansatz steht mit dem Medikament Imatinib (STI 571) zur Verfügung.

Für weiter Interessierte: Ein Großteil der CML, aber auch einige Unterformen der ALL, seltener der AML weisen als Veränderung des Erbgutes das „Philadelphia-Chromosom“ auf. Dieses führt zu einer Verschmelzung zweier Gene. Das Verschmelzungsprodukt (BCR-ABL-Fusionsgen) führt zu einer gesteigerten Aktivität des Enzyms Tyrosinkinase, welche eine wichtige Rolle bei der Entwicklung zu einem leukämischen Zellklon spielt. Imatinib ist ein spezifischer Antikörper, der die Aktivität der Tyrosinkinase hemmt und so eventuell einen günstigen Einfluss auf die Leukämie haben kann.

Die CLL ist wie die CML eine Erkrankung des älteren Erwachsenen. Sie zeigt einen ausgesprochen günstigen Verlauf, der sich über mehrere Jahre bis Jahrzehnte hinzieht und erst in fortgeschrittenen Stadien zu spürbaren Symptomen führt. Daher gilt bei der CLL „das Credo des weitestgehenden therapeutischen Nihilismus“, d.h. man therapiert so lange wie möglich überhaupt nicht. Erst bei starker Anämie, häufigen Blutungen oder Beschwerden, die auf Organschwellungen beruhen, kommt eine leichte Chemotherapie zum Einsatz. Die CLL ist nicht heilbar, jedoch stirbt ein Teil der Patienten an von der Erkrankung unabhängigen Folgen.

Supportive Therapie

Neben der eigentlichen Therapie der Leukämien spielen unterstützende (supportive) Maßnahmen eine wichtige Rolle im Therapiekonzept. Genannt seien in diesem Zusammenhang Bluttransfusionen (auch reine Blutplättchenkonzentrate), antibiotische Prophylaxe, hochwirksame Medikamente gegen Erbrechen (Ondansetron), sowie Granulozytenwachstumsfaktoren, um Phasen einer schlechten Abwehrlage zu verkürzen. All diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Chemotherapie einerseits für den Patienten weniger belastend ist, andererseits aufgrund der guten Beherrschung der Nebenwirkungen in höhere, noch wirksamere Dosisbereiche steigerbar wurde.

Prognose

Die vor allem im Kindesalter auftretende ALL hat eine Heilungswahrscheinlichkeit, die auf 70-80 Prozent beziffert wird. Die Prognose der AML liegt je nach genetischem Typ zwischen 20 und 60 Prozent.
Die CML geht – außer bei den seltenen Fällen einer erfolgreichen Stammzelltherapie – meist nach 4-7 Jahren in einen Blastenschub über, der dann innerhalb weniger Wochen bis Monate tödlich verläuft. Kürzer dauernde chronische Phasen kommen vor. Die CLL endet meist erst nach über 10 Jahren tödlich.


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