Multiple Sklerose
Die Multiple Sklerose (MS, Enzepholymyelitis disseminata) ist eine recht häufige entzündliche Erkrankung des Nervensystems. Aufgrund einiger Berichte in den Medien hat die MS eine gewisse zweifelhafte Berühmtheit erlangt.
In Wirklichkeit verläuft die Krankheit in einer Mehrzahl der Fälle jedoch relativ gutartig, so dass die von manchen Medien geschürten Ängste in der Bevölkerung in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Bedeutung der MS stehen.
Wie entsteht die MS?
Nervenzellen haben lange Fortsätze, durch die Reize in Form elektrischer Impulse geleitet werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Zellbereiche, welche die Zellfortsätze umgeben. Diese so genannten „Myelinscheiden“ sind für eine funktionierende Reizleitung unerlässlich und werden in den Nervenzellen des Gehirns von spezialisierten Zellen (Oligodendrozyten) übernommen.
Bei der MS kommt es zu nun zu einem Verlust der Myelinscheiden in verschiedenen Regionen des Gehirns, was die vielen unterschiedlichen Beschwerdebilder und Symptome der MS erklärt. Zu Recht bezeichnet man sie deshalb auch als „Erkrankung mit den tausend Gesichtern“.
Die anfängliche Entzündungsreaktion kann vollständig zurückgehen. In einigen Fällen bleiben jedoch narbige Verhärtungen (Sklerosen) zurück, die einen deutlichen und dauerhaften Funktionsverlust nach sich ziehen.
Über die auslösenden Ursachen der MS wird viel spekuliert, sie sind jedoch trotz intensivster Forschungsbemühungen bis zum heutigen Tag nicht eindeutig geklärt. Zumindest bei einem Teil der MS-Erkrankungen scheinen Autoimmunprozesse, also Angriffe des Immunsystems auf körpereigene Strukturen, bei der Erkrankung eine bedeutende Rolle zu spielen. Neuerdings wird geprüft, ob bei einem Teil der Erkrankung nicht auch Störungen im Stoffwechsel der Oligodendrozyten vorliegen. Einige Daten sprechen für diese These und könnten mit für die sehr unterschiedlichen Verlaufsformen der Erkrankung verantwortlich sein.
Wie äußert sich die MS?
Wie bereits oben angedeutet, sind die Symptome der MS vielgestaltig. Häufiges Erstsymptom sind vorübergehende Sehstörungen, die Folge einer entzündlichen Aktivität im Bereich des Sehnerven sind. Gefühlsstörungen wie Taubheit und Kribbeln kommen in verschiedenen Körperregionen hinzu. Lähmungen (z. B. Gesichtsmuskulatur) werden vor allem im Verlauf der Erkrankung beobachtet, können aber auch anfängliches Symptom sein.
Ähnliches gilt für Störungen im Bereich der Blasen- und Mastdarmfunktion, die zu vorübergehenden oder eventuell dauerhaften Inkontinenzen führen können. Störungen der Sprache und des Gleichgewichts (Schwindel und Gangunsicherheit) kommen vor und werden von den Patienten meist als äußerst beeinträchtigend empfunden. Im Bereich der Sprache muss man weniger von einer Störung des Sprachvermögens, als vielmehr des Sprechvorgangs ausgehen. Die Sprache wird durch sensible Störungen und durch Lähmung der Sprachmuskulatur abgehackt und polternd.
Auch im psychiatrischen Bereich können Veränderungen vorkommen. Häufig sind dabei depressive Verstimmungen, aber auch Hochstimmung sowie launenhafte oder aggressive Verhaltensauffälligkeiten werden beobachtet.
Wie verläuft die MS?
Die MS kann äußerst unterschiedliche Verläufe annehmen. Dabei kommen einmalige oder einige wenige Schübe mit vollständiger oder nahezu vollständiger Rückbildung der Symptome genauso vor wie ein kontinuierliches Fortschreiten, das innerhalb weniger Jahre zur Invalidität und sogar Pflegebedürftigkeit führen kann.
Es sind diese Fälle, die aufgrund der Darstellung einiger Medien für die übertrieben negative Beurteilung der MS gesorgt haben. Es muss aber gesagt werden, dass fast die Hälfte der Fälle einen ausgesprochen gutartigen Verlauf nehmen, der zu keiner oder nur minimaler Einschränkung der Lebensqualität führt.
Weitere 30 Prozent erleben einen schubhaften Verlauf, mit unregelmäßigen Schüben im Abstand von ein bis zwei Jahren und zwischenzeitlichem Rückgang einiger Symptome (Remission). Es bleiben in diesen Fällen jedoch immer mehr Restbehinderungen zurück, sodass die Erkrankung insgesamt fortschreitet.
Bei jedem fünften bis zehnten Patienten bleiben die Remissionen gänzlich aus und es entwickelt sich ein Verlauf kontinuierlicher Verschlechterung, wobei auch hier die Ausprägung und Fortschrittsgeschwindigkeit der Erkrankung äußerst variabel sind.
Zusammenfassend betrachtet ist nach einem zwanzigjährigen Krankheitsverlauf immer noch jeder dritte MS-Patient uneingeschränkt arbeitsfähig. Ein großer Teil der Patienten hat leichte Einschränkungen. Bei etwa jedem zehnten kommt es zur Pflegebedürftigkeit unterschiedlichen Ausmaßes. In etwa fünf Prozent der Fälle endet die Erkrankung bereits innerhalb weniger Jahre tödlich. Ursache sind dabei oft Sekundärerkrankungen wie Lungenentzündungen.
Wie wird die MS diagnostiziert?
Die Diagnose stützt sich neben der körperlichen Untersuchung auf die Analyse des Hirnwassers (Liquor) und einer röntgenologischen Abbildung des Gehirns. Hier hat sich gezeigt, dass vor allem in frühen Stadien die Kernspintomografie der Computertomografie überlegen ist.
In der Liquoruntersuchung wird vor allem ein Vermehrung von Lymphozyten und Immunglobulinen gefunden. Eine Abgrenzung gegen virale und einige bakterielle Infektionen des Nervensystems muss erfolgen. Die Diagnose kann mitunter – vor allem bei widersprüchlichen Ergebnissen und leichter Symptomatik – schwierig sein. Eindeutige Befunde sind dann erst bei erneuten Schüben im Verlauf der Erkrankung zu erwarten.
Welche therapeutischen Optionen stehen zur Verfügung?
Eine ursächliche Therapie existiert aufgrund der Tatsache, dass die Zusammenhänge bei der MS-Entstehung noch in weiten Teilen unklar sind, nicht. Grundsätzlich besteht die therapeutische Strategie darin, dass Immunsystem zu unterdrücken bzw. positiv zu beeinflussen. In erster Linie kommen hier zu Beginn hochdosierte Kortisonpräparate zum Einsatz. Gegebenenfalls kann die Therapie durch stärker wirkende Immunsuppressiva wie Azathioprin ergänzt werden. In schweren Fällen kann eine Blutwäsche mit selektiver Entfernung von Immunglobulinen Erfolg versprechend sein.
Neuerdings treten Bemühungen mit Interferonen immer mehr in den Vordergrund. Eine Interferon-Therapie sollte aus Kosten- und Erfahrungsgründen nach Möglichkeit an speziellen Zentren im Rahmen von Studien durchgeführt werden.
In letzter Zeit wurden auch einige Studien mit Antikörpern gegen den Entzündungsbotenstoff „TNF Alpha“ durchgeführt. TNT-Alpha-Antikörper werden bei anderen Autoimmunerkrankungen (Rheumatoide Arthritis, M. Bechterew, M. Crohn) schon länger mit einigem Erfolg eingesetzt. Es scheint, dass sie auch im Bezug auf die MS hilfreich sein können, vor allem dann, wenn herkömmliche Behandlungen nicht zu einem befriedigenden Ergebnis geführt haben.
Ein großer Bestandteil der MS-Therapie sind die Verbesserung der Lebensqualität durch Maßnahmen, die den Patienten den Umgang mit bleibenden Einschränkungen ermöglichen. Dazu zählen krankengymnastische und ergotherapeutische Maßnahmen.
Bei psychischen Veränderungen kann eine psychotherapeutische oder medikamentöse Therapie angezeigt sein. Die meisten Patienten profitieren davon, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Dies dient einerseits der psychologischen Unterstützung, andererseits dem Erfahrungsaustausch und der Informationsbeschaffung, z. B. hinsichtlich neuer therapeutischer Möglichkeiten oder anderer wissenschaftlicher Fortschritte.